MIT MINIMALEM EINSATZ MAXIMALE WIRKUNG ERZEUGEN

Martin Aufmuth ist weder Augenarzt noch Optiker. Er ist Mathe- und Physiklehrer. Und dennoch hat er mit seiner Erfindung – der „EinDollarBrille“ – schon 70.000 Menschen in Entwicklungsländern das Sehen ermöglicht.

Name: Martin Aufmuth

Geburtsdatum: 13.04.1974

Beruf: Geschäftsführender Vorstand EinDollarBrille e.V.

Hobbys: Schwimmen, Laufen, Fahrrad fahren

Kieser Training-Kunde seit: 2008

Kraft bedeutet für mich: die täglichen Herausforderungen zu meistern.

Herr Aufmuth, Sie sind der Erfinder der „EinDollarBrille“. Gibt es nicht genug Brillen?

Vor rund sieben Jahren habe ich gelesen, dass laut einer Studie der WHO mehr als 150 Millionen Menschen eine Brille benötigen, sich aber keine leisten können. Am nächsten Tag stolperte ich in einem Ein-Euro-Laden über Lesebrillen aus China. Ich habe mich gewundert, dass wir im reichen Deutschland an derart günstige Brillen kommen, Menschen in Entwicklungsländern jedoch nicht. Also habe ich mich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und festgestellt, dass dieser Mangel eines der großen Probleme in Entwicklungsländern ist. Mit fatalen Folgen: Kinder können nicht lernen. Erwachsene nicht arbeiten. Für Menschen, die unter dem Existenzminimum leben, kann eine Verschlechterung der Sehkraft sogar lebensbedrohlich sein, wenn arbeiten nicht mehr möglich ist. Mein Ziel ist es, eine augenoptische Grundversorgung in Entwicklungsländern zu etablieren, um die Menschen dauerhaft mit Brillen zu versorgen. Also habe ich begonnen, zu recherchieren und im Keller zu experimentieren.

Wie können wir uns das vorstellen?

Ich habe mich gefragt, wie ich mit minimalem Einsatz maximale Wirkung erzielen kann. Es war mir wichtig, eine Brille zu entwickeln, die sich die Menschen leisten können und die so stabil ist, dass sie den Bedingungen in den Zielländern standhält. Die Gläser sollten einfach einsetzbar und austauschbar sein. Und die Brille sollte hübsch sein, damit die Menschen sie gerne tragen. Das fällt natürlich nicht vom Himmel. Ich habe mich Monate mit dem Thema auseinandergesetzt und im Keller mit verschiedenen Materialien experimentiert.

Und herausgekommen ist die „EinDollarBrille“ ...

Sie besteht aus einem leichten, hoch flexiblen Federstahlrahmen und kratzfesten vorgeschliffenen Kunststoffgläsern. Sie lässt sich z. B. mit farbigen Perlen verzieren. Das Wichtigste ist aber der Preis: Die Materialkosten liegen bei einem US-Dollar. Verkauft werden die Brillen für zwei bis drei ortsübliche Tageslöhne. Das können sich auch sehr arme Menschen leisten. Über den Differenzbetrag soll sich das Projekt selbst tragen.

Sie haben sich mit der Entwicklung der Brille nicht zufriedengegeben, sondern auch eine Biegemaschine konstruiert.

Ich habe mir überlegt, wie man die Brillen vor Ort mit einfachen Mitteln reproduzieren kann. Auf der Biegemaschine, die in eine Holzkiste von 30x30x30 Zentimetern passt, lässt sich der Federstahldraht überall per Hand, ohne Strom und Schrauben zu Gestellen unterschiedlicher Größen biegen. Auch diese Entwicklung hat mehrere Monate gedauert, denn es war ja wirklich Neuland. Anfangs habe ich kein Material für die Biegeköpfe gefunden, die den Draht aushalten – sie sind ständig gebrochen. Ich habe das „Pling“ immer noch im Kopf. Technisch bin ich jetzt bei der 14. Generation. Das ist ein industrielles Hightech-Produkt, mit dem wir auf ein Hundertstel Millimeter genau arbeiten können. Pro Box lassen sich ca. 30.000 Brillen pro Jahr produzieren.

Mit Ihrer „EinDollarBrille“ und dem gleichnamigen Verein ermöglichen Sie sehschwachen Menschen nicht nur die Chance auf Bildung und ein besseres Leben. Sie schaffen auch Arbeit.

Das ist ein Teil nachhaltiger Entwicklungshilfe. Die bewährt sich, wenn ich in Leute investiere und ihnen zeige, wie sie die Dinge selber in die Hand nehmen können. Wir wollen in den Zielländern eine augenoptische Grundversorgung etablieren. Dafür bilden wir die Menschen vor Ort darin aus, die Brillen an den Biegemaschinen zu fertigen. Andere schulen wir darin, die Sehtests durchzuführen. Die gehen zu den Menschen in die Dörfer, führen dort die Sehtests durch und statten sie direkt mit den Brillen aus. Das ist wichtig, denn wer arm ist hat kein Geld, in die nächste Stadt zu reisen. Das unterscheidet uns von anderen Projekten. Um das zu leisten und die Projekte in den Ländern ans Laufen zu bringen, brauchen wir Spendengelder. Wenn ein Projekt etabliert ist, kann es sich aus den Verkäufen der Brille finanzieren.

Inzwischen sind Sie in acht Ländern aktiv. Das klingt viel.

Knapp fünf Jahre nach Vereinsgründung ist das Wahnsinn. Ich bin seit einigen Jahren per Sonderurlaub vom Dienst als Lehrer befreit und arbeite Vollzeit für den Verein: Ein Management-Job mit 70 bis 80 Stunden pro Woche. Wir arbeiten deutschlandweit mit ca. 150 bis 200 Ehrenamtlichen. Hochqualifizierte Menschen mit hohem Engagement. Für viele Pensionärinnen und Pensionäre ist das eine spannende Herausforderung, in die sie ihre Erfahrungen aus den unterschiedlichsten Bereichen einbringen können. Unterstützung erhalten wir auch von Stiftungen wie der Else Kröner-Fresenius-Stiftung oder der Siemens-Stiftung.

Es gab sicherlich auch Hindernisse auf Ihrem Weg.

Um ehrlich zu sein, eine Kaskade von Hindernissen – sei es technischer Natur oder in den Verhandlungen mit den Behörden und Ämtern vor Ort. Viel funktioniert anders oder gar nicht. Man muss die richtigen Berater finden, darf niemanden vergessen oder übergehen. Oft stand ich da und dachte: Jetzt geht es nicht mehr weiter. Wenn ich aber sehe, wie viele Leben wir positiv verändert haben, gibt mir das Kraft. Mittlerweile haben wir 70.000 Menschen mit Brillen versorgt, Tendenz stark steigend. Ich trage eine Verantwortung. Aufzugeben ist für mich keine Option.

Das Training

Martin Aufmuth hat eine 70- bis 80 Stunden-Woche. Um zum vielen Sitzen einen Ausgleich zu schaffen und eine gesunde Basis für den Sport zu legen, geht er zu Kieser Training. Das hilft ihm, Energie zu tanken.


Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit besonders?

Ein Mädchen aus Äthiopien konnte extrem schlecht sehen. Sie hatte dennoch gute Noten, weil sie in der Pause immer an die Tafel gegangen ist und alles auswendig gelernt hat. In einem System, in dem es keine Brillen gibt, müssen Kinder schon extrem motiviert und findig sein, um überhaupt eine Chance zu haben. Normalerweise sitzen in der 1. Klasse ca. 150 Kinder, in der 8. Klasse ist noch ein Drittel übrig. Die mangelhafte optische Grundversorgung hat daran einen hohen Anteil. Das zu ändern treibt mich an und macht mich glücklich.

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Sie haben Lust, Martin Aufmuth aktiv bei seiner Arbeit zu unterstützen? Prima! Dann melden Sie sich unter: EinDollarBrille.de

Interview: Tania Schneider
Fotos:
Martin Aufmuth